Backe, backe Kunst; Malerei ad absurdum
Am Beispiel des Jahrhundertfälschers Beltracchi.
Teil 1/2 – Von Baldur Landogart
Da sitzt er nun, der Verursacher des wohl größten Kunstfälscherskandals der Nachkriegsgeschichte. Schulterlanges graugelocktes Haar, Ziegenbart, Retrohemd und ein schelmisches Lächeln: So präsentiert sich der Althippie Wolfgang Beltracchi bei seinen mittlerweile unzähligen Auftritten. Neben diesem eulenspiegelhaften Menschen, seine Frau Helene, weniger Muse, vor allem Mittäterin. Er fälschte, sie beschaffte die Expertisen und forderte die Bilder ein. Das Ehepaar tritt als charmantes Gaunerduo auf. Im Verhältnis zueinander in romantisierender Weise, ein wenig wie Bonnie und Clyde; kriminell, aber einnehmend, nur eben ohne Tötungsdelikt.
Zwei lebensbejahende Sympathieträger, so zumindest die mediale Berieselung. Alte Film- und Fotoaufnahmen aus dem Familienbesitz der Protagonisten zeigen den „Meisterfälscher“ süffisant grinsend, oft nur mit einer engen Badehose bekleidet, an Palmenstränden oder auf Segeljachten herumlungern. Die beiden wirken wie unverhofft zu Geld gekommene Alt-68er, welche sorglos in den Tag hineinleben. Es ist ein Leben in Saus und Braus, ein Traum von einer scheinbaren Freiheit.
Nach eigenen Angaben enstanden in rund 40 Jahren über 300 Fälschungen von 80 namhaften Malern der sogenannten zeitgenössischen Kunst, von denen etwa 250 nach wie vor unentdeckt auf der ganzen Welt, in zahlreichen Museen und Privatsammlungen verstreut, zu finden sind. Doch die meisten der jetzigen Besitzer schweigen. Es geht schließlich um Millionen. Man schämt sich zudem, auf einen Fälscher hereingefallen zu sein und möchte sich ungern der Häme anderer Sammler aussetzen.
Beltracchi hätte auch 2000 Bilder für den Markt malen können. Wie viele er genau fälschte, wie viele sich im Umlauf befinden und wo selbige zu finden sind, verrät auch er nicht. Dieses Geheimnis macht ihn auch weiterhin interessant und er weiß seinen Wert zu nutzen.
Doch wie schaffte es letztendlich nur ein Mann mit Komplizin sämtliche vermeintliche Zentralen der Kompetenz und Macht in der internationalen „Artworld“ auszuschalten? Was bedeutet dies für das sogenannte Kunst- und Kulturleben, sowie für das politische System in dem wir leben, da visuelle Gestaltung schon immer ein Vorreiter, ein Wegweiser, für politische und gesellschaftliche Veränderungen darstellte?
Auch ein Jahrhundertfälscher fängt klein an. Nachdem der junge Wolfgang im Alter von 17 Jahren vom Gymnasium verwiesen wurde, den Besuch der Kunstschule aufgab und bei seinem Vater – einem Kirchenmaler – gelernt hatte, führte er ein Wanderleben durch Wohngemeinschaften und Kommunen mit reichlich „Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll“. Während seiner Studienzeit kaufte er Gemälde aus verschiedenen Jahrhunderten, restaurierte und vekaufte sie weiter.
Ein Händler verwies Beltracchi eines Tages auf ein holländisches Winterbild und machte ihn darauf aufmerksam, dass dieses Landschaftsmotiv mit Figuren einfacher und hochpreisiger an den Mann zu bringen wäre. Gesagt, getan. Beltracchi ergänzte die Szene mit einigen Personenstaffagen. Der Erlös fiel jedoch zu gering aus und der einst konsumkritische Blumenmann gedachte nun, richtig Kasse zu machen. Ab diesem Zeitpunkt nahm er sich vor, in Zukunft Bilder vollständig neu zu malen.
Nun kaufte er auf Floh- und Antiquitätenmärkten günstige namenlose Gemälde aus der Zeit, trug hier die original Beschichtung und Farbe ab und integrierte mit zeitgemäßen Farbzusammenstellungen evtl. noch vorhandene Linien und Strukturen geschickt in die darauf neue überlagernde Komposition. So konnte aus der Brust eines stark in die Leinwand gearbeiteten weiblichen Aktes der Apfel eines Stilllebens werden. Beltracchi passte sich zudem der Malgeschwindigkeit der nachzuahmenden Persönlichkeiten an, wenn derjenige Linkshänder war, malte auch er mit der linken Hand.
Da ein Ölbild normalerweise zwischen 6 bis 8 Monate bis zur vollständigen Austrocknung der Farbe benötigt, fertigte Wolfgang Betracchi einen Ofen zur Beschleunigung dieses Verfahrens an. Durch das „Backen“ evtl. entstandene Leinwandbeulen wurden anschließend liebevoll auf der Rückseite mit einem Bügeleisen geglättet. Danach wurde die Unterkante des Keilrahmens noch mit etwas Schmutz und Staubflocken aus der jeweiligen Zeit und mitunter auch Region versehen, welche vorab wie in einem Labor peinlich genau in sterilen Reagenzgläsern aufbewahrt wurden. So entstanden auf der Vorderseite und in Keilrahmennähe die charakteristischen Verdickungen eines alten und ungereinigten Gemäldes. Zum Schluss legte Beltracchi das entsprechende Stück, wenn notwendig in eine hölzerne Kiste, zündete in derselben hunderte alte Zigarren ab oder hängte das Bild längere Zeit in einer Kneipe auf. So erhielt die Arbeit noch den richtigen Geruch.
Will man nicht Kopien von vorhandenen Gemälden anfertigen, gibt es zur Fälschung nur zwei Möglichkeiten. Die erste wäre ein verschollenes Bild, die zweite eine imaginäre Lücke im Werk des Künstlers oder die Ergänzung einer Motivserie. Es muss also ein „Szenario“ sein, welches nicht im Werksverzeichnis aufgelistet ist, aber wenn möglich, in der Literatur auftaucht, man aber nicht weiß, wo es geblieben ist und wie es aussah. So erstellte der Fälscher Bilder, die Experten teils als die besten des jeweiligen „Künstlers“ lobten. Selbst die Witwe von Max Ernst sagte, Beltracchi habe den schönsten Forêt gemalt, den ihr Mann je geschaffen hat.
Auch Werner Spieß, der „Papst der Max-Ernst-Forschung“, welcher das Werksverzeichnis von Ernst erstellte, fiel ebenfalls auf Beltracchi herein. Dieser „Big-Player“ des heutigen Kunstmarktes, der sich gerne mit Bundespräsidenten umgibt und aus einer namenlosen Leinwand ein Millionenobjekt generiert, anerkannte mindestens 7 Beltracchi-Fälschungen als echt und erhielt dafür angeblich bis zu 400.000 Euro Provision. Sein „Lebenswerk“ ist nun zu recht lädiert.
Beltracchi selber äußerte sich wie folgt: „Ich habe besser gemalt als die von mir kopierten Künstler und ich habe ihr Werk vollendet“, sowie, „ich habe nur die Künstler gemalt, die ich mochte“ (gleich und gleich gesellt sich gern), des weiteren, „ich fälschte auch keine Bilder, sondern nur den Namen darunter“ (rechtlich betrachtet eine Urkundenfälschung). Mit einer Mischung aus Kenntnissen über die moderne Malerei, Genauigkeit und krimineller Energie hinterging er Sachverständige, Galeristen und Kunsthistoriker, denen er bislang unbekannte oder verschollene Arbeiten von z.B. Campendonk oder Picasso unterschob.
In jedem Fall benötigt man eine „schöne Geschichte“, die jeder Kunstexperte, der sich damit beschäftigt, recherchieren kann und lockt in damit auf eine Spur, die seine vorgefasste Anschauung auch bestätigt. Beltracchis Talent lag vor allem in dem Erfinden von Anekdoten.
Als der Großvater von Helene Beltracchi, Werner Jägers, starb, entstand die Geschichte des feinsinnigen und kunstsammelnden Großvaters aus dem Rheinland, dessen kostspielige Sammlung bis dato merkwürdigerweise noch niemandem bekannt war. Beltracchi verkleidete seine Ehefrau als Großmutter in der Mode der 30er Jahre und setzte sie in einem nachgebauten Fotostudio vor die angeblichen Kunstwerke. Aufgenommen wurden die Fotografien mit einer zeitgemäßen historischen Kamera. Diese Fotos sollten als Beweis für die Sammlung Jägers gelten. Nun hatten die Bilder eine Provenienz.
An der heutigen Kulturbörse gibt es mehr Leute, die mit Kunst Geld verdienen wollen, als Kunstwerke. Täglich werden Millionen umgesetzt und jedes Jahr neue Rekordpreise erzielt, unabhängig davon, was sonst in der Welt passiert. Hier ist Kunst kein Kulturgut mehr, sondern reine Ware, ein Anlageobjekt wie Aktien.
Händler, Auktionshäuser, Galerien usw. wollen alle am Kunstmarkt verdienen. Diese Gier nach immer neuen Objekten macht es Fälchern leicht, ihre „Werke“ im Markt unterzubringen.
Wenn der sogenannte Experte ein vermeintliches Original bestätigt, dann freut sich der Auktionator über das neue Spitzenwerk, mit dem er womöglich einige Hunderttausend oder gar Millionen verdienen kann. Der Experte erhält ebenfalls eine üppige Provision. Der Einlieferer – in unserem Fall der Betrüger – bekommt auch sein Geld und der Käufer freut sich über seine neue Trophäe. Es gibt also in diesem System bei allen Akteuren keinen, der möchte, dass das vermeintliche Original eine Fälschung ist. Nur der Käufer ist der Dumme. Der überhitzte Kunstbetrieb giert so sehr nach neuen Objekten, dass es nur logisch erscheint, wenn Fälscher die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage schließen wollen. Es ist dabei auch einfacher ein Bild für fünfhunderttausend Euro zu verkaufen, als für zehntausend Euro. Bei so hohen Summen glaubt einfach niemand mehr, dass es sich um eine Fälschung handelt.
Wie Wolfgang Beltracchi überführt wurde, wie er nach seiner Verurteilung lebte und welche weiteren Erkenntnisse wir aus diesem Fall ziehen können, schildere ich im zweiten Teil.